Die bundesweite Notbremse ist im Gespräch und hat gerade den Bundestag passiert. Jedoch könnten die Bundesländer auch ohne zentrale Notbremse bremsen. Der Föderalismus macht es möglich. (Es klingt, wie ein Witz.) Einige Ministerpräsidenten tun das, mit Erfolg. Beispielsweise Peter Tschentscher begrenzt das Wachstum der Infektionen in Hamburg so ziemlich wirkungsvoll. Doch auf wessen Schultern wird das Warten auf konsequenten bundesweiten Maßnahmen ausgetragen?
Gelassenheit
Bei dieser Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird sich viel Zeit gelassen. Dies ist einerseits löblich, so wird das Gesetz überdacht und Schwachstellen können ausgeräumt werden. Jedoch dauert es laut vielen Kritikern zu lange, dass überhaupt Maßnahmen ergriffen werden. Angesichts der verhältnismäßig geringen Sterberaten sieht sich die Politik, wenn es “die” Politik gibt, nicht allzu genötigt, die dritte Welle schnellstmöglich aufzuhalten. Außerdem sind die Sterberaten momentan alles andere als gering. Gestern wurden insgesamt 331 Tote gemeldet. Ein Intensivmediziner hat diese Zahl mal ziemlich zynisch mit einem Flugzeugabsturz pro Tag verglichen. Das die Zahlen im Verhältnis zu Hochzeiten der 2. Welle gering sind verdeutlicht nur die Tragik. Was aber von vielen Politikern anscheinend entweder in Kauf genommen, oder übersehen wird sind die vielen Infektionen im mittleren Alter und bei den Jugendlichen. Hier muss bedacht werden, dass auch Jugendliche an Long Covid erkranken können. Anzumerken bleibt jedoch auch, dass das geänderte Infektionsschutzgesetz gerade den Bundestag passiert hat und nun nur noch durch den Bundesrat muss.
Noch nie war die Inzidenz von Kindern und Jugendlichen so hoch wie heute. Da Eltern und zT auch Lehrpersonal noch nicht geimpft sind, und auch Kinder #LongCovid bekommen, ist das Schuljahr wahrscheinlich nur noch im Distanzunterricht zu retten. B117 Welle stoppen wir zu spät. pic.twitter.com/JvmSOWqS86
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) April 20, 2021
Hier noch ein Diagramm zur Verteilung der Infektionen im Zeitverlauf nach Altersgruppen.
Schwierigkeiten
Was auch nicht vergessen werden darf ist, auf wessen Rücken dieses lange Warten auf Maßnahmen ausgetragen wird. Natürlich auf den Schultern derer, die noch länger im Lockdown bleiben müssen. Die Gastronomen werden z.B. in den Plänen von Bund und Länder gefühlt nicht mehr erwähnt. An dieser Stelle klaffen Gefühl und Wirklichkeit jedoch weit auseinander. Denn die Gastronomen werden erwähnt, nur leider lediglich in den Plänen von Tobias Hans aus dem Saarland, Boris Palmer aus Tübingen oder in Bezug auf Privilegien für Geimpfte. Diese Pläne werden dann in den nächsten Talk-Shows von mindestens einem Experten in der Luft zerrissen. Dabei muss auch gesagt werden, dass viele Experten das Modellprojekt von Boris Palmer interessant fanden. Als Tobias Hans auf den Zug aufsprang war die Inzidenz deutschlandweit jedoch schon wieder so weit gestiegen, dass nur noch wenige Experten dieses Modellprojekt für eine gute Idee hielten.
Vor allem geht das Warten mit konsequenten Maßnahmen zur Eindämmung der 3. Welle aber zu Lasten der Pfleger und des Krankenhauspersonals per se. Diese Belastung ist durch nichts gerechtfertigt. Vor allem wird sie nicht einmal durch eine gute Bezahlung ausgeglichen. Hier werden Menschen so scheint es, mutwillig entweder ins Burnout oder aus ihrem Job gedrängt. Die Rate an Menschen, die den Pflegeberuf verlassen haben ist Besorgnis erregend. Es ist tatsächlich bewundernswert, dass überhaupt noch jemand in diesem Beruf arbeitet.
Der Dienst für die Gesellschaft ist unbezahlbar und ist keinesfalls mit Klatschen abgegolten. Ein angemessenes Gehalt ist das Mindeste.
Wir dürfen das Gesundheitssystem nicht auf seine Belastungsfähigkeit prüfen. Vor allem, weil wir wissen, zu wessen Lasten es geht.
Standards sind toll!
Eigentlich sind Standards toll. Leider lässt der bundesweite Standard auf sich warten. Aber eigentlich war er ja schon da. Die Idee ist hier, nicht die selbe Maßnahme auf ein ganzes Land anzuwenden sondern die selben Maßnahmen bei der selben Inzidenz umzusetzen. Diesen schon erwähnten Plan gab es “bereits” im März. Damals brüstete sich Michael Müller, regierender Bürgermeister von Berlin, noch, dass dieser Plan auf eine A4-Seite passe. Leider war es etwas kompliziert. Generell kein Problem, ein Problem wurde die eigenmächtige Vereinfachung durch einige Ministerpräsidenten. Z.B. in Brandenburg war die neue 100 die 200. Was das für den Mathematik-Unterricht heißt bleibt unklar.
Wir halten fest, wenn man sich gemeinsam auf eine Handlungsweise unter bestimmten Umständen einigt, muss man sich an diese Abmachung auch halten. Standards funktionieren nur, wenn sich jeder dran hält. Die bundesweite Notbremse würde unnötig, wenn jeder Ministerpräsident das umsetzen würde, was bei der MPK beschlossen wurde. Was daran so schwer ist bleibt mir um ehrlich zu sein schleierhaft.
Text: Lukas Mundt
